Liebe Realität
Du kotzt mich manchmal echt an. Dabei weiss ich nicht mal, ob es dich überhaupt gibt. Du bist zwar genau das, was es gibt, deshalb sollte es dich eigentlich schon geben. Gut, ich nehms zurück: dich gibt es schon. Aber wie du aussiehst, weiss ich nicht. Ist meine Sicht auf dich doch immer verzerrt irgendwie. Dich gibts, aber niemand hat dich je gesehen: Ha, unsichtbar wie ein Fucking Ghost.
Doch nun zu dem Kotz-Thema. Wir nehmen jetzt mal an, dass es dich gibt und dass wir dich ungefähr kennen. Heute morgen bist du zum Beispiel in Form von Schwindel und Antriebsmangel aufgetaucht. Ja, du bist vielseitig. Und ich wollte so ein Poster machen. Und du sagst einfach: «Nein, wir machen jetzt kein Poster. Zumindest kein ganzes. Du darfst mal anfangen und dann chillst du wieder für ein paar Stunden.» Ich will doch nicht chillen, ich will jetzt dieses verdammte Poster machen. Du lässt dich nicht überzeugen, bleibst stur, schiebst noch ein paar Schwindelattacken nach. Fuck you, Realität!
Dabei ist doch Montagmorgen und da sollte man als nicht-erwerbstätiger Faulenzer zumindest so ein verficktes Poster hinkriegen. Die Idee wäre doch gut, liesse sich vielleicht verkaufen, um dann Geld zu verdienen, um doch noch ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu sein, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, altruistisch Steuern zu zahlen, damit es Krankenhäuser hat und Strassen und philosophische Fakultäten und subventionierte Theater und damit auch keine UBS untergeht und alles läuft, die Schweiz wohlhabend bleibt, der Rubel rollt, ich mein der Schweizer Franken. Aber du, ja du, liebe Realität, sagst «Nein». Nix mit wertvolles Mitglied, nix mit rollendem Schweizer Franken. Du sagst «Chillen. Kaffee trinken.» Warten bis du, liebe Realität, beschliesst, dass es jetzt Zeit ist für ein Poster. Eins, das du vielleicht verkaufen kannst und damit Geld verdienen. Um ein wertvolles Mitglied zu werden. Und dann von allen akzeptiert zu sein und geschätzt. Und vielleicht eine gute Pension zu haben. Oder ein Haus kaufen. Kinder kriegen und ihnen ein BWL-Studium finanzieren. Und im Winter in die Karibik.
Ich soll mich beruhigen? Du bist gut. Du, die du einfach bist wie du bist. Ich bin aber nicht wie ich bin. Ich will jetzt ein Poster machen. Okay, Okay, du hast schon recht. Du hast immer recht. Wir müssen uns dir beugen. In deinem Strom mitschwimmen. Dich akzeptieren. Du allmächtige. Dann gehts uns besser. Dann sind wir im Flow. Ich versuchs nochmals. Lass die Pension, den Rubel und die Subventionen mal beiseite. Mach mal ein halbes Poster. Chille. Warte darauf, was du mir als nächstes befiehlst, du Tyrann.
Noch eins. Ich will dich nicht nur schlecht machen, du hast ab und zu sehr originelle Ideen. Und bist immer für Überraschungen gut. Vielleicht schliessen wir ja mal Frieden.